AKTUELL
Schwerpunktschulen durch die Hintertür (7/2025))
Die "Entwicklungsräume Inklusion" sind der neue heiße Scheiß in Sachen schulischer Inklusion in Baden-Württemberg: Die Schulämter gucken in ihrem Gebiet bestimmte Schulen aus, die dann im nächsten Schuljahr inklusiv arbeiten sollen. Wie war das mit "Inklusion ist Aufgabe aller Schulen und Schularten"? Davon ist wenig übrig. Zu wenig, meinen wir und haben dem Kultusministerium unsere Stellungnahme zugesandt mit der Bitte um eine fachliche und vor allem rechtliche Antwort. Denn wir sind der Meinung: Die "Entwicklungsräume Inklusion" sind ohne Schulgesetzänderung rechtswidrig.
Hier unsere Stellungnahme:
1. Politische Aspekte
2. Rechtliche Aspekte
3. Kommunikations-Aspekte
1.
1.1.
Mit den „Entwicklungsräumen Inklusion“ hat sich aus unserer Sicht das Kultusministerium mit der Grundidee des Schulgesetzes von 2015, bei der inklusiven Beschulung vom Kind aus zu denken, verabschiedet. Was damals ausdrücklich nicht gewollt war, ist jetzt durch die Hintertür eingeführt worden: Die Schwerpunktschule.
Egal, woher später die Kinder mit Behinderung kommen, deren Eltern für Inklusion melden, legen sich Schulämter auf bestimmte Schulen fest („stimmen sich ab“), die im kommenden Schuljahr inklusiv arbeiten sollen. Das mag für Schulämter ein Fortschritt sein, die sich bisher gar keine Gedanken darüber gemacht haben, wie und wo sie Inklusion umsetzen wollen, weil sie meist zu Recht gehofft haben, dass die Eltern von diesem Wunsch „wegberaten“ werden. Es ist ja sicherlich kein Zufall, dass einer der ergänzenden Hinweise zu den Entwicklungsräumen auch die Pflicht zur „ergebnisoffene Beratung“ ist. Für andere Schulämter, die Inklusion sehr stark wohnortbezogen und sehr individuell umgesetzt haben, ist es ein Rückschritt.
Schon jetzt führen die „Entwicklungsräume“ dazu, dass Schulen Eltern sagen, „sie seien keine Inklusionsschule und deshalb nicht zuständig“, und dass Schulämter Eltern rückmelden, im Bezirk XY werde Inklusion „schon immer an Schule AB gemacht und nirgendwo anders.“ Wenn ihnen das nicht passe, gebe es ja immer noch die Sonderschulen… Wohnortnähe (Prämisse 2) ist also relativ und beliebig, zumal die Größe der Entwicklungsräume nicht vorgegeben ist.
Auch führt die Prämisse 3 (und so gut wie möglich gruppenbezogene (auch förderschwerpunktübergreifende) Angebote organisieren) dazu, dass Schulämter versuchen, auch möglichst viele zielgleiche Kinder mit Behinderung in die Gruppenlösungen zu zwingen, was ja im Schulgesetz so nicht vorgesehen ist (Umkehrschluss aus § 83 III Satz 3, 2. HS).
1.2. Mit den Entwicklungsräumen soll dem Koalitionsvertrag Rechnung getragen werden, „regionale Schulentwicklungsprozesse Inklusion zu initiieren“, so steht es im Erlass. Wir lesen im Koalitionsvertrag: „Inklusion ist Aufgabe aller Schulen und Schularten und ist für uns vorrangiges bildungspolitisches Ziel.“ (Seite 66) und von einem „Zeitplan für einen inklusiven Schulentwicklungsprozess“.
Dass dieser Prozess jetzt viele Schulen außen vorlässt und die Vorgabe der UN-BRK, dass Kinder „in the community“, also in ihrem sozialen Umfeld zur Schule gehen sollen, immer weniger erfüllt, darin sehen wir keinen Fortschritt – zumindest nicht für die Kinder. Schon bei den zieldifferenten Gruppenlösungen wurde gegen die UN-BRK verstoßen, jetzt trifft es alle Kinder mit Behinderung, für die ein Gremium, das die Kinder (noch) gar nicht kennt, die Entwicklungsraum-Schule aussucht.
2.
Vor allem sind wir der Auffassung, dass die „Entwicklungsräume Inklusion“ mit den geltenden Recht nicht vereinbar sind. Sie verstoßen gegen § 83 III Satz 3 und 4 SchulG und der gesetzgeberischen Idee, die hinter diesen Vorschriften steht.
§ 83 III Satz 3 und 4 geht vom Elternwunsch aus, denkt also vom Kind her: „Ausgehend vom Wunsch der Erziehungsberechtigten“ und „Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten anzustreben“. Absatz 4 auferlegt den Schulämter die Pflicht, wenn es vom Elternwunsch abweicht, nachzuweisen, dass an der „gewählten Schule“ die angemessenen Vorkehrungen nicht hergestellt werden KÖNNEN („die fachlichen, personellen und sächlichen Voraussetzungen zur Erfüllung des Anspruchs nicht geschaffen werden können“). Das muss das SSA also notfalls auch vor Gericht darlegen können.
Wie soll eine Schulverwaltung das tun, wenn die „gewählte Schule“ schon von vornherein gar nicht zur Debatte stand, weil man sich schon ein Jahr zuvor im Entwicklungsraum auf eine andere Schule focussiert und festgelegt hatte? Jedes Gericht wird erkennen, dass es diese Prüfung, die § 83 IV SchulG vorschreibt, nie gegeben hat.
All das zeigt, wie schon unter 1 dargelegt, dass das Schulgesetz anders gedacht war – nämlich ausgehend vom Kind und dem Elternwunsch. Das ist nun mit den „Entwicklungsräumen“ zu Ende.
3.
Die Entwicklungsräume Inklusion tangieren die Rechte der Eltern und Kinder stark, weil sie das Wahlrecht einschränken. Dieses neue „Konzept“ wurde aber Eltern bislang nicht vorgestellt oder veröffentlicht. Auf Seite 3 ist zwar von „Kommunikation“ und „Kommunikationsforum“ die Rede. Es bleibt aber offen, wer die Entwicklungsräume gegenüber den Erziehungsberechtigten kommuniziert, vor allem erklärt, und auf welche Weise das geschieht. Das ist misslich, zumal bislang ja nur ein interner Erlass vorliegt und sich auf der Seite des Kultusministeriums zu diesem Thema nichts finden lässt. Jedes Schulamt müsste das Konzept vorstellen und auch seine Entwicklungsräume veröffentlichen.






